Libris Buchlogistik

Omnichannel

09.12.2020 - 4 Minuten Lesezeit
Die Idee ist nicht neu: Bereits 1997 entstand beim Buchgroßhändler Libri das Konzept für Verlage und Autoren, Bücher über Print-on-Demand ab Auflage 1 samt Vertrieb über den gesamten Buchhandel zu veröffentlichen. Aus der Idee entstand die Schwesterfirma BoD, die heute europäischer Vorreiter und führender Spezialist im Bereich der digitalen Buchpublikation und im Self-Publishing ist. Im Firmenverbund investieren Libri und BoD nun in die Zukunft des Buchmarkts und errichten mit PLUREOS das größte und modernste Print-on-Demand-Zentrum Europas. Das Ziel am Logistikstandort Bad Hersfeld: Mit Fertigstellung im Herbst 2021 werden künftig Millionen nationale und internationale Titel dauerhaft, über Nacht und in nachhaltiger Produktion für Leserinnen und Leser verfügbar sein.

Mit der lückenlosen Integration der Print-on-Demand-Produktion von BoD in die Buchhandelslogistik von Libri wird sich die Produktion und Lieferzeit von Paperback-Titeln von zwei bis drei Tagen auf einen Tag verkürzen. In Zukunft wird es damit keinen zeitlichen Unterschied mehr zwischen lagernden und frisch gedruckten Büchern geben. Realisierungspartner für das Projekt ist der oberpfälzer Systemintegrator WITRON Logistik + Informatik GmbH.

Somit betreibt Libri weltweit eines der leistungsstärksten Omnichannel-Logistikzentren in der Branche. Das Verteilzentrum in Bad Hersfeld beliefert kanalübergreifend 3.800 stationäre Buchhandlungen unterschiedlicher Größe sowie 1.200 Internet-Shops. Dabei können Bücherfreunde, die nicht im Shop einkaufen wollen, ebenso über die Online-Plattformen der Libri-Vertragshändler bestellen und sich das Buch direkt aus Bad Hersfeld nach Hause liefern lassen. Verantwortlich für das Projekt bei Libri ist Jörg Paul, COO des Buchgroßhändlers. „Die Verbindung von Druck, Logistik und schnellem Versand mit PLUREOS ist europaweit einmalig in der Branche“, freut sich Paul.

Im Oktober feierten die Mitarbeiter das Richtfest der neuen Halle mit einer Grundfläche von 10.000 m². „Im unteren Geschoss ist die Anlieferung für die Druckmaschinen, die Print-on-Demand-Produktion und die Papierlager. Die Logistik und Fördertechnik installieren wir im oberen Geschoss“, erklärt Paul. Bis zu 50.000 Bücher pro Tag werden in Zukunft mit PLUREOS gedruckt und über Nacht versendet. Auch ein Fast-Track-Prozess für besonders zeitkritische Bestellungen ist geplant. Libri versteht sich als Dienstleister rund ums Buch für Verlage und Buchhändler – und eröffnet beiden Partnern neue Absatzwege.

Modernisierung und Neugeschäft

"Wir dachten erstmal, die Libri-Kolleginnen und Kollegen wollen ihre Anlagen modernisieren. Wer rechnet denn mit einem ganz neuen Materialfluss?"

Ulrich Schlosser, WITRON

„Mit dem neuen Druck- und Logistikzentrum reduzieren wir Lagerkosten, erhöhen die Titelverfügbarkeit im Buchhandel und haben weniger Rückläufer“, rechnet Paul vor. „Herausforderung und gleichzeitig der Erfolgsfaktor in dem Geschäftsmodell ist die Geschwindigkeit. Wir müssen genauso schnell sein oder sogar schneller als die klassische Lagerware.“ Mit dieser Forderung konfrontierte Libri Ulrich Schlosser. Schlosser verantwortet die Modernisierungsprojekte bei WITRON und kennt Libri seit vielen Jahren. Die Oberpfälzer realisierten das bestehende Logistikzentrum. Weit mehr als 700.000 Bücher werden hier pro Tag für Filial- und Online-Kunden kommissioniert. „Wir dachten erstmal, die Libri-Kolleginnen und Kollegen wollen ihre Anlagen modernisieren. Wer rechnet denn mit einem ganz neuen Materialfluss“, scherzt Schlosser. IT-Systeme müssen auf den neuesten Stand gebracht werden, die Steuerungs- und Regeltechnik sämtlicher Regalbediengeräte und der gesamten Fördertechnik bekommen ein Update. Doch dieses Modernisierungsprojekt ist wesentlich umfangreicher, umfasst auch einen neuen Materialfluss. „Wir modernisieren und verändern parallel, und das während des laufenden Betriebes, sozusagen ein Eingriff am offenen Herzen“, erklärt Schlosser.

Der zukünftige Prozess: Die Druckmaschinen sind mit dem ERP-System verbunden und tauschen Daten aus. Aus dem ERP erhalten auch die WITRON-Logistiksysteme die Informationen über die zu druckenden Bücher, die Versandfenster und Kundendaten. Wenn das Buch gedruckt wurde, wird es automatisch aus der Maschine auf die Fördertechnik gesetzt. Das Buch aus der Druckmaschine ist für das System ein zweiter Wareneingang. Sobald das Buch die Maschine verlässt, erkennt das System mittels Barcode das Buch und führt es im WITRON-WMS. Dort verarbeitet das System die Informationen, ob es sich um Einzelpositionen oder Mehrfachpositionen handelt.

Ein neuer Wareneingang

Das Buch kommt in eine Wanne und fährt entweder direkt zum Kommissionierplatz oder in einen Puffer – 20 neue Mitarbeitende in der Logistik in Früh- und Spätschicht sucht Paul, die durch Technik in der Kommissionierung unterstützt werden. „Wir nutzen unter anderem dynamische virtuelle Pickfronten“, berichtet Paul. Neben Kommissionierern sucht er Techniker und Drucker.

 

Im Puffer wartet das individuell gedruckte Buch unter Umständen auf Schnelldreher aus dem Bestandslager. „Der Kunde bestellt einen Bestseller und einen als Titel als Print-on-Demand.“ Beide Bücher führt die Technik zusammen und transportiert sie dann wieder zu einem Kommissionierplatz. Im Schnelldreherbereich arbeitet Libri mit dem DPS-System von WITRON.

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DPS arbeitet nach dem Prinzip "Ware-zum-Mann" / "Mann-zur-Ware". Die Artikel befinden sich im DPS, abhängig von der Auftragsstruktur, permanent beziehungsweise bedarfsgerecht in der Pickfront, wodurch diese stets optimiert ist. Die Klassifikation der Artikelstruktur wird durch DPS kontinuierlich überprüft und angepasst. Dabei wird die wird semi-automatische Kommissionierung durch ein Pick-by-Light-System unterstützt. Konzipiert für die Anforderungen des Omnichannel-Handels können die Artikel für Filialbestellungen in Versandwannen und für Online-Bestellungen in einem Pick- und Packverfahren in den Versandkarton kommissioniert werden. Das Replenishment der im Behälterlager integrierten Kommissionierzonen erfolgt ausschließlich systemgesteuert durch Regalbediengeräte.

WMS und Materialfluss-Optimierungen

„Die Herausforderung in dem Projekt liegt in der IT. Wir müssen die Zeitfenster abstimmen, die Puffer auslegen und das Bestandssystem mit den Informationen füttern“, berichtet Schlosser. Zu den 156 Behälter-Regalbediengeräten im alten Lagerbereich installieren die Techniker noch einmal zusätzliche Geräte in der Pufferzone des neuen Buchdruckbereiches.

Schlosser und Paul verbinden eine Handelslogistik mit der Produktionslogistik. „Das Projekt ist auch für uns eine Besonderheit“, unterstreicht Schlosser. Doch solche Projekte könnten auch in Zukunft in anderen Branchen an Bedeutung gewinnen. Additive Fertigungsverfahren verändern das Ersatzteilgeschäft beispielsweise in der Automobilindustrie. „Wenn der 3D-Druck den Prototypen-Status verlässt, dann werden wir ähnliche Ansätze auch in anderen Branchen sehen“, ist Schlosser überzeugt. Jörg Paul und sein Team von Libri geben einer über 500 Jahre alten Branche einen neuen Takt in der Produktion. Sie erfinden sich und ihr Geschäft neu.