Prozesse für die Kunden

Kunden

09.01.2020 - 3 Minuten Lesezeit
Wir treffen Prof. Dr. Andreas Syska in der Skihalle in Neuss – einer Illusion von Winterwelt im Herbst. Der Ort passt zu Syskas Buch: Illusion 4.0. Mit Syska spricht die Redaktion über Technologie, Kunden und Effizienzgewinne.

Der Hochschullehrer Syska ist viel mit dem Flugzeug unterwegs. Und wenn er am Flughafen ankommt, dann ärgert er sich. „Viele deutsche Unternehmen haben den Kunden und seine Bedürfnisse aus den Augen verloren“, erklärt Syska und steht am Self-Check-In. „Ich mache hier die Arbeit der Fluggesellschaft und checke mich ein. Ich helfe dem Unternehmen Personalkosten zu reduzieren. Dabei ist doch ein Dienstleister dazu da, mir meine Arbeit abzunehmen.“

"Die Digitalisierung wird als großes Effizienzprogramm verkauft. Das mag sein, aber wir müssen Effizienzgewinne teilen – mit dem Kunden."

Prof. Dr. Andreas Syska, Hochschule Niederrhein

Aber Syska will auch günstig fliegen, oder? „Personalkosten sind sicher nicht der Kostenblock in der Luftfahrt.“ Aber Syska sieht auch bei Self-Service-Kassen ähnliche Phänomene. „Die Digitalisierung wird als großes Effizienzprogramm verkauft. Das mag sein, aber wir müssen Effizienzgewinne teilen – mit dem Kunden.“ Der Hochschullehrer ist neben seiner Lehrtätigkeit erfolgreicher Buchautor. Illusion 4.0 hieß sein erstes Werk, das oft missverstanden wurde. „Industrie 4.0 wird mit der Fabrik der Zukunft gleichgesetzt – andere Themen werden weitgehend ausgeblendet. Darüber hinaus haben einige der Protagonisten die Illusion, Algorithmen könnten ein komplexes, also linear nicht beschreibbares System, wie eine Fabrik steuern. Ein System, in dem ein irrationales Wesen, namens Mensch tätig ist. Das hat noch nie funktioniert und daran wird auch Industrie 4.0 nichts ändern“, so Syska.

Die Digitalisierung sei kein Naturgesetz, das über die Menschheit komme, sondern sie sei menschengemacht. „Ich bin kein Feind moderner Technologien, nur müssen sie sinnvoll eingesetzt werden.“ Aber trotzdem titulieren ihn manche in Deutschlands als Madigmacher der 4.0-Ideen. „Diesen Titel kenne ich gar nicht. Aber den kann nur derjenige verliehen haben, der nicht richtig hinhört, was ich zu sage habe. Denn die Möglichkeiten von Digitalisierung und Vernetzung gehen weit über das hinaus, was derzeit diskutiert wird. Sie bieten uns die historisch einmalige Chance, zu gestalten, wie wir zukünftig leben, arbeiten und wirtschaften wollen.“

Beispiel Kunden und Effizienz: In jedem Prozess finden sich noch bis zu 20 Prozent Verschwendung. Da ist sie: Syskas Begeisterung für Lean Production. „Wir müssen Prozesse an Kundenbedürfnisse anpassen, nicht umgekehrt. Der Kunden im E-Commerce will beispielsweise ein Auspackerlebnis. Es muss an der richtigen Stelle knirschen.“ Dazu komme, viele E-Commerce-Riesen würden die Kunden mittlerweile besser kennen als der Händler an der Ecke.

"Wir können Waren im Lager sehr schnell bereitstellen, aber das bringt dem Kunden nichts, wenn der Lkw noch nicht an der Rampe steht."

Helmut Prieschenk, CEO, WITRON

Helmut Prieschenk, CEO von WITRON, hat seinen Kunden im Blick. „Wir können Waren im Lager sehr schnell bereitstellen, aber das bringt dem Kunden nichts, wenn der Lkw noch nicht an der Rampe steht. Das macht ökonomisch und ökologisch kein Sinn. Intelligenz in den Prozessen wird Geld sparen, die Flexibilität erhöhen und uns helfen, unsere Logistikprozesse noch nachhaltiger zu fahren, denn bei dem oben genannten Beispiel müssen wir die Anlage nicht maximal fahren, sondern können energiesparend arbeiten, oder Betriebszeiten anpassen, oder andere Aufträge vorziehen", so Prieschenk.

Der Kunde habe aber keinen Anspruch an die Digitalisierung, meint Syska. „Er kennt die Systeme, die Prozesse der Industrie gar nicht. Er will nur sein Produkt und das Erlebnis. Wenn die Digitalisierung den Lieferanten dabei unterstützt, dann ist das gut.“ Das wird teurer? „Ja und komplizierter, deshalb muss die Industrie Ballast aus den Prozessen entfernen.“ Aber nur dann, wenn es die Prozesse zulassen.

Gelten die neuen Ansprüche auch für B2B-Kunden? „Ja, in etwas anderer Form, denn Statistiken über Wechsler-Quoten sind stille Post in der B2B-Welt. Wenn ich nicht die Wünsche meines Kunden kenne, dann habe ich auch im Maschinenbau ein Problem.“ Prieschenk pflichtet ihm bei: „Unsere Kunden wollen von uns eine Auslieferleistung, kein Regalfahrzeug mit technischen Beschreibungen und vielen Details. Das war eine Kundenanforderung, die wir aufgenommen haben.“

Syksa ist überzeugt: „Erst wenn die Prozesse an den Kunden angepasst und stabil sind, dann schlägt die Stunde der Digitalisierung.“ Und dann machen viele Unternehmen den größten Fehler: Effizienzgewinne nicht mit dem Kunden zu teilen. „Das bedeutet nicht nur günstigere Preise. Das kann auch besserer Service oder mehr Sicherheit bedeuten.“ Diese Frage sei bis heute unbeantwortet – auch von der Industrie 4.0-Gemeinschaft.

Sein Rat: „Jedes Unternehmen sollte wertstromaufwärts das Kunden-Lieferanten-Verhältnis analysieren. Dann erziele man mehr als faule Kompromisse zwischen Produktion und Logistik.“

 

Wie WITRON auf die Forderungen reagiert, hören Sie in der Podcast Folge 6.

Zur Person: Prof. Dr. Andreas Syska promovierte am Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen. Vier Jahre lang war er Produktionsleiter der Robert Bosch GmbH in Stuttgart, bevor er sich mit seiner Unternehmensberatung Syska 1995 selbstständig machte. Seit 1997 unterrichtet er als Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach.